Freitag mittag bin ich mit Regine aus Ludwigsburg nach Interlaken gefahren, eine nette W55-Läuferin, mit der es unterwegs viel zu erzählen gab.

Hab dann erst mal mein Zimmer angeschaut, die 6 schweizer Läufer/innen, mit denen ich das Zimmer in der total schnuckeligen „Backpackers Villa“ teilte waren schon ausgeflogen, so machte ich mich allein auf den Weg, meine Startnummer abzuholen und mich zu stärken …

Eine nette Pizzeria war schnell gefunden, nach Cola, Pizza und Cappuccino schaute ich mir noch ein wenig das Städtchen an. Interlaken, für mich bis dahin ein schwarzer Fleck auf der Landkarte entpuppte sich als schönes Städtchen.

Dann gings ins Bett, die Schweizer waren auch gerade dabei, sich hinzuhauen, waren 4 nette Jungs und 2 nette Mädels etwa in meinem Alter, angenehme Zimmergenossen. Die Nacht war sehr sehr unruhig, um 6:30 war ich der erste beim Frühstück. Susanne, eine Heidelbergerin, die seit 25 Jahren in den USA lebt leistete mir Gesellschaft, nach dem Frühstück hatte ich meinen ersten personal Fan an der Strecke

Sie fragte, wo ich denn zum Zuschauen hingehen würde, ich empfahl die Gletschermoräne, dort wollte sie dann beizeiten zum Anfeuern bereitstehen.

Backpackers Villa war nur ca. 500 Meter vom Start entfernt, so ging ich erst mal meinen Kleiderbeutel abgeben, um dann in der Villa noch gepflegt das wichtigste Vorwettkampfgeschäft zu erledigen. Vor dem Start noch schnell ein Foto und schon gings los. Ich war spät dran, so dass ich mal wieder irgendwo über die Bande geklettert bin, vor mir in Sichtweite war ein Pacemaker mit orangenem Luftballon, noch weiter vorne einer mit einem blauen Luftballon. Zuerst geht es eine ca. 5 km lange Runde durch die Stadt, es war sehr voll auf der Strecke, erst nach ca. 3 km lief ich auf den orangenen Pacemaker auf, auf seinem Shirt stand 4:45

Aus dem Bauch raus hatte ich 4:45 angepeilt, vielleicht 4:30, 5 Stunden schätzte ich als sicher und relativ stressfrei erreichbar ein, war aber alles sowieso nur Spekulation.

Nach 5 km hatte ich mich bei 5 min/km eingependelt und es fühlte sich recht locker an. Das Wetter war übrigens phantastisch, Sonne pur, angenehme Temperaturen, vielleicht einen Tick zu warm aber von Hitze konnte keine Rede sein. Nun ging es das Tal nach Lauterbrunnen hoch, erst mal alles noch sehr flach, irgendwo auf diesem Teilstück überholte ich den blauen Pacemaker, auf seinem Shirt war 4:30 zu lesen, es lief gut, also dachte ich, lass ihn hinter Dir, was Du hast hast Du. Ab km 15 waren dann doch schon einige erwähnenswerten Steigungen drin, 250 Höhenmeter müssen ja schliesslich bis km 20 auch erst mal gemacht werden. Das Tempo wurde bergauf automatisch etwas langsamer, die Halbmarathonmarke erreichte ich nach 1:48, alles im grünen Bereich.

Nun liefen wir noch eine Schleife durchs Tal, bevor der Anstieg nach Wengen bei km 25,5 begann. Bis hierhin gabs schon tolle Ausblicke auf die schneebedeckten Berge, der serte Teil war keineswegs langweilig, verglichen mit dem, was noch kommen sollte dagegen kaum erwähnenswert.

Bei km 25,5 gings scharf ums Eck und da war sie, „die Wand“. Ich hatte ja schon viel davon gehört und war darauf vorbereitet, ich hatte mich sogar drauf gefreut. Wandern statt laufen, das war mir sehr recht. Ab hier stand alle 250 Meter ein Kilometerschild, so hatte man sogar ständig das Gefühl, vorwärts zu kommen.

Das Stück nach Wengen hoch lag mir sehr gut, ich hatte einen sehr zügigen Schritt drauf, es ging konstant steil bergauf, sehr wenig flachere Passagen, bei denen ich schon merkte, dass mir das Anlaufen schwer fiel.

In Wengen war geniale Stimmung, überhaupt war bisher schon immer wieder für gute Unterhaltung gesorgt. Alphornbläser, Guggenmusik, Trommeln, Kuhglocken und viele viele Zuschauer.

Die Landschaft wurde nun immer grandioser, steile Passagen wechselten sich mit flachen, ebenen und Bergabpassagen ab. Hier hatte ich Probleme, den Rhythmus zu finden, es dauerte nicht allulang bis mich der 4:30-Pacemaker überholte. Er lief auf den flachen Stücken deutlich schneller als ich und wenns steil wurde lief er noch ein ganzes Stück weiter, bevor er in einen zügigen Wanderstil wechselte. Ich hätte keine Chance gehabt dranzubleiben.

So entschied ich mich frühzeitig für die Variante, keine Zielzeit mehr anzupeilen. Viele Läufer und auffallend viele Läuferinnen überholten mich. Ich genoss die Landschaft, freute mich, dass es meinen Beinen saugut ging und hatte auch in dieser Phase richtig viel Spass. Die Zeit verging und die Moräne kam näher. Regine lief zu mir auf, ich hab ja schon Erfahrung mit W55-Wunderläuferinnen und machte mir nichts draus, was unsere Lauftrefflerin Gudrun auf flachen Strecken ist ist Regine bei Bergläufen, regionale Spitze. Wir freuten uns gemeinsam, dass es uns noch so gut ging.

Es folgte die Gletschermoräne, ein steiler Pfad durch Geröll und über Steine, an Überholen war nicht zu denken, das Tempo der vor mir wandernden war absolut okay. Es war total kurzweilig, weitere Alphornbläser sowie der Dudelsackspieler waren weitere Highlights. Mühelos war der höchste Punkt erreicht, dort gab es leckere schweizer Schokolade, überhaupt war die Verpflegung sagenhaft, besonders gefreut hab ich mich immer wieder über die Bullion, meine Theorie, dass mir bei Marathon Salz fehlt hat sich bestätigt, ab und zu ein Becher Bullion hatte sicher für diesen sorgenfreien Lauf gesorgt.

Nun gings noch ca. 200 Höhenmeter runter, ich lief relativ langsam, immer mehr Läufer hatten mit Krämpfen zu kämpfen. 200 Meter vor dem Ziel dachte ich, Mensch, so könnte ich heute noch ne Weile weiterlaufen und wandern, wars das wirklich schon? Hab mich gefreut wie verrückt, als mir die Finishermedaille umgehängt wurde liefen die Tränen, auf einmal waren sie da, die Emotionen, Glücksgefühle, schlagartig war die Stimmung von „war das alles“ nach „ich hab was Grossartiges hinter mir“ gewechselt.

Hab noch 4 Stunden oben verbracht, gefuttert, die Sonne genossen, geduscht, Finisher bejubelt …

18:15 nahm ich die Bahn zurück nach Interlaken, der Dudelsackspieler war mit im Abteil, ein total witziger Kerl, der ständig lustike Anekdoten erzählte.

Ich geh, der Berg bleibt, den Muskelkater haben andere.

Habe fertig.