Tag 16
7 Uhr. Der Wecker klingelt. Es regnet. 8 Uhr. Es regnet. 9 Uhr. Es regnet. 10 Uhr. Es regnet nicht.
Ich verzichte auf selbstgemachten Kaffee, packe in Rekordzeit mein Zelt und den Kram ans Rad und starte. Richtung Kaffee. Nicht am See, da ist er doppelt so teuer wie sonstwo in Slowenien. 2 km weiter trinke ich lieber doppelt so viel Kaffee. Schwabe halt.
Im Halbschlaf hatte ich Ideen gesammelt. Ans Meer bei Triest. Oder über Kärnten, Osttirol, Südtirol, Timmelsjoch Richtung Heimat …
Bei doppelt so viel Kaffee hab ich Zeit für einen Plan. Den brauch ich dringend. Erst mal das Radovna-Tal hoch, das ist klar.
Wetterprognosen sehen hier und in erreichbaren Gegenden für die nächsten Tage nicht so gut aus. Es ist 10 Grad kälter geworden. Wechselhaftes Wetter mit Regen und Gewittern. Osttirol und Südtirol sind raus. Zu weit, ich käme in Zeitstress. Meer ist auch raus. Dort hätte ich gern Sonne und 30°C, wie sich das eben so gehört, im Süden am Meer. Nein. Mich reizt der Weg dorthin nicht
Über die Karawanken Richtung Klagenfurt klingt gut. „mapy cz“, meine Schnellplanungsapp zeigt eine Route mit 55 km an. Was? So nah? Okay … steilster Wanderweg, eine garstige „Arschlochetappe“, übler als das krasse Stückchen West Loop vorgestern könnte das werden. Man weiß es nicht. Ich hab Bock drauf. Ich hab wieder Kapazitäten frei für Abenteuer, Qualen, Freuden
Erst mal den Umweg übers Radovna-Tal. Es rollt leicht bergauf mühelos. Es macht Spass, es ist wieder herrlich. So ein wunderbares Tal! Lieblich. Saftig grün. Tiefhängende Wolken, ab und zu Regen. Ein Gasthaus mit ehrlichen frisch zubereiteten Speisen. Ganz anders als gestern die Touristen-Massenware am Bleder See, auf die ich auf Kosten meiner Schafskäse-Reste verzichtet hab. Jetzt und hier. Einer der besten Schweinebraten, die ich je gegessen hab. Omas Schoko-Nuss-Kuchen, ein Traum
Am Ende des Radovna-Tals ein Schild, 18%. Harmlose 18% oder ich bin heute gut drauf. Ich halte es für möglich. Belohnt werd ich mit einer Abfahrt ins Save-Tal. Ich biege ab Richtung Jesenice. Den Kreis um den Triglav hab ich fast geschlossen, ich muss ihn nicht schliessen und kann Kranjska-Gora links liegen lassen.
Kurz hinter Jesenice erreiche ich meinen heutigen Campingplatz. Die Sonne kommt raus, ein schöner Abend nach einem runden Tag
Schön, wieder einen Plan zu haben, es glitt langsam Richtung sinnlose Rumgammelei. Was ja auch schön ist. Aber …
Tag 17
Selbe Taktik wie gestern, aufstehen, schnell packen, früh los. Ab Mittag war Regen und Gewitter angesagt, das muss ich mir oben in den Karawanken ja nicht unbedingt antun. Soweit die Idee dahinter.
Schneller Kaffee in einer Bar, da gab es aber leider nichts zu essen. Weiter. Ah, ein Bäcker … schnell über die Strasse … gegenüber kassiert ein Polizist einen Wasweissichsünder ab, Rennt zu mir. Will 120 Euro. Durchgezogene Linie überfahren. Ist sehr gefährlich! Sagt er. Morgens um 8 Uhr. Nix los auf der Straße! Ich bin völlig perplex. Ich überleg kurz, ob ich 200 Euro aus meiner Bargeld Notreserve opfere, ihm den Rest schenke und mich bedanke, dass er so ein netter Kerl ist. Nein. Das täte weh. Ich täusche Einsicht vor. Heule ein wenig rum wegen der 120 Euro und am Ende belässt er es bei einer Verwarnung. Der Puls war jedenfalls schon mal auf 200.
Beim Bäcker hab ich 6 süsse Kalorienbomben gekauft, dazu Cola und Joghurt. Zwei Tafeln Schokolade waren noch im Rucksack, ich rechnete heute damit, dass ich stimmungsaufhellende Mittel wahrscheinlich gebrauchen kann.
Es ging in den Berg. Typisches slowenisches asphaltiertes Sträßchen mit satten Prozenten. Dann begann der Wanderweg. 2,x Kilometer, 700+ Höhenmeter. Klingt steil, war noch viel steiler. Hab verschiedene Techniken entwickelt, das Rad hochzuwuchten. Bin froh, vor ein paar Monaten mit Rudertraining begonnen zu haben.
Ich mach es kurz. Es war die Hölle. An der physischen Grenze. Mental war ich einigermassen gut vorbereitet, hab Ruhe bewahrt und versucht, die schönen Sachen am Weg wahrzunehmen. Wenn 4 Versuche, das Rad einen Absatz hochzuwuchten scheiterten, klappte es halt beim fünften mal. Die langsamsten und härtesten paar Kilometer meines Lebens waren das. Glaub ich jedenfalls.
Geräusche hinter mir. Aha. Eine Schnecke will überholen. Ich mach Platz und grüsse freundlich. Raser will ich nicht aufhalten
Stundenlang kämpfe ich mich durch den Wald hoch. Es regnet leicht. Ich hab ein bisschen Angst vor den angesagten Gewittern. Die Bäume lichten sich, der Himmel macht ein wenig auf, Felsen und Berge zeigen sich. Genau für solche Momente bin ich hier.
Blödsinn, Schwachsinn, ein Trauerspiel aber geil, diesen Weg gewählt zu haben. Irgendwann bin ich oben. Unspektkulär verabschiedet sich Slowenien, unspektakulär begrüsst mich Österreich. Kein Duty-Free-Shop, kein Schild. Grenzsteine gäbe es bestimmt. Ich will keinen suchen.
Bergab ist ähnlich besch….. wie bergauf. Geröllhalde runter, schmale, steile, verwurzelte oder verblockte Wege. Knapp senkrecht. Ich hab Probleme, das Rad kontrolliert runterzubekommen. Hab ich schon geschrieben, dass die Idee bescheuert war? Das hat so wenig mit Radfahren zu tun wie ein lauter Furz mit gutem Benehmen.
Ich rechne mit ganz gemeinem Ganzkörpermuskelkater.
Egal, irgendwann bin ich auf der Bärentalstrasse. Ich darf noch einige 100 Höhenmeter auf Asphalt töten. Am Ende spucken mich die Berge in Feistritz im Rosental wieder aus.
Ich bin fertig, vollkommen erschöpft, leer, zerstört! Zelt steht. Dusche wartet. Bin noch unentschlossen, ob ich den Tag toll finden soll. Spass. Hinterher wars mal wieder ein krasser geiler Scheiss, den ich halt ab und zu brauche
Heute finde ich auf die Schnelle keine Worte, die dem Tag auch nur annähernd gerecht werden. Die Emotionen kochen über.
Bitte nicht nachmachen!
Tag 18
Ich wache auf. Es regnet stark. Toilette … weiterschlafen … es regnet und regnet und regnet. Ich bin unmotiviert. Meinem Körper geht es nach dem Desaster gestern ausgesprochen gut.
11 Uhr. Ich pack mein Zeug im Starkregen. Starte Richtung Turracher Höhe. Da will ich drüber, aber nicht heute. Nach ca. 60 km kommt ein Campingplatz. 20 km vor der Passhöhe. Passt für heute.
Es geht an der Drau entlang. Langweiliger Naturweg, Sauigelei. Schutzblechfans wären begeistert von ihren Schutzblechen. Alles ist trüb, es regnet, meist mittel bis stark. Es ist kühl. Ich geb im Zweifelsfall etwas Gas. Die Beine sind gut, es rollt.
Der Weg biegt ab Richtung Klagenfurt. Erste Höhenmeter. Es läuft. Mir ist warm. Supermarkt. Ich kauf ihn halb leer und frühstücke im überdachten Bereich. Gestern Abend war ich zu kaputt zum essen!
Ich streife den Wörthersee, fahre teils auf schönen Wegen, teils auf Radwegen neben Bundesstraßen. Das gefällt mir nicht. Noch weniger gefallen mir 7 km auf einer sehr stark befahrenen Bundesstraße. ALLE Autofahrer sind rücksichtsvoll. Danke!
Der ein oder andere Tankstellen- oder Bäcker-Stop mit Cappuccino und Kuchen und so Zeug. Alle Gasthäuser und Radlerstopps, an denen ich vorbeikomme sind geschlossen
Ich verlasse die B93 und fahre einen wunderschönen Naturweg am Tiebelbach hinauf. Am Ende noch ein 400-Höhenmeter-Anstieg. Gut fahrbar, nicht zu steil. Ich lande auf dem angepeilten Campingplatz. Er sieht geschlossen aus. Jede Menge heruntergekommene Mobile-Homes. Auf der anderen Seite des Flüsschens steht ein Haus, ein Auto davor. Ich geh über die kleine Brücke. Das Haus ist tatsächlich die Rezeption. Eine Holländerin kommt raus, begrüsst mich, zeigt mir die im Keller befindlichen Sanitäranlagen. Einwandfrei. Ich bin der einzige Gast. Ich darf mich unter dem Dach mit Bänken und Stühlen ausbreiten.
Die Dusche war heiss. Ich liebe heisse Duschen. Volltreffer. Zwei abgelaufene Cola hab ich auch noch geschenkt bekommen.
Es regnet immer noch. Ich konnte mich im Lauf des Tages damit anfreunden und hatte auch wieder Freude an der Landschaft und den teilweise darin hängenden Wolken und Nebelschwaden.
Morgen gehts dann erst mal über die Turracher Höhe. Ich erwarte kein Highlight. Ist eher ein praktischer Pass. Ich möchte nochmal über die Alpen. Ohne Bahn und Tunnel und so was.
Ich bin trocken, mir ist warm. Gute Nacht
Tag 19
Regen, Regen, Regen. Wieder bau ich ruckzuck alles ab, bring das Zeug unter das Dach und setz mich erst mal hin. Bei dem Regen will ich nicht los. Ich koche Kaffee und mache mir Porridge, studiere Wettervorhersagen und Regenradare. Sieht einfach nicht gut aus. Sagen wir lieber beschissen. Dauerregen. Will ich den aussitzen dann sitz ich heute Abend noch hier.
So gehts dann gegen 11 Uhr doch los. Hilft ja nix, ich will über die Turracher Höhe. Heute. 15 km leicht bergauf bis zum Beginn des richtigen Anstiegs. Tankstellenkaffee, Daunenjacke ausziehen, gegenüber im Laden noch meine Basics einkaufen. Mars, Cola, Trinkjoghurt, Bananen, Äpfel. Das muss für die übersichtlichen restlichen 700+ Höhenmeter reichen.
Ein Schild, 23%, klar, die 18%-Schilder sind ja so langsam auch langweilig, waren bestimmt mal im Sonderangebot.
Ich schraub mich langsam hoch. Es läuft wieder gut. Ich denk mir, lachhafte 23%, stelle mir schon vor, den ganzen Pass ohne Pause, ohne schieben hochzufahren. Über 200 Höhenmeter hab ich schon.
Dann seh ich sie. Die Rampe Ich hab die noch aus jungen Jahren in Erinnerung. Ja, sie ist wirklich der Hammer. Fahren für mich undenkbar. Schieben schwer genug. Gegenüber vorgestern aber Kinderfasching. Nach einer Weile wird es wieder fahrbar.
Der Pass ist deutlich schöner als ich ihn mir vorgestellt hab. Wasser donnert neben der Strasse ins Tal, hübsche Ausblicke. Sehr sehr wenig Verkehr
Oben auf der Passhöhe liegt die Gemeinde Turracher Höhe. Ein Wintersport-Kaff. Ziemlich tote Hose um diese Zeit. Ich versuche kurz an einen Kaffee zu kommen, drei Fehlversuche, egal, mir gefällt das Ambiente da oben eh nicht gut. Auf in die Abfahrt. Mit Daunenjacke.
So ein Spaß. Kilometerlang geht es 900 Höhenmeter runter, erst steil und kurvig, gute Bremsen sind gefragt. Später angenehmes Gefälle, Genussrollen mit 30 km/h ohne bremsen zu müssen. Mir kommt die Abfahrt extrem lang vor. Geil geil grins grins.
Wo ist mein Rucksack? Da ist Geldbeutel und Notebook drin?!? Oben beim Daunenjacke anziehen liegenlassen?!?
Na?!? Reingefallen?!? Ich auch! Ich dachte wirklich kurz, er wär nicht auf dem Rücken, manchmal spür ich ihn nicht, er ist so bequem
Unten im ersten Ort ein offener Gasthof. Ich hab zwei Tage lang nichts gescheites mehr gegessen. Hmmmm … Holzofenpizzatag. Besser als nichts Lecker war sie.
Weiter die Mur hoch. Wunderwunderschön. Fluss, Bahnlinie, Radweg. Blumen Blumen Blumen. Gute Laune. Achja, ich war kurz in der Steiermark, jetzt bin ich im Salzburger Land. Für die Statistik.
Mein Navi schickt mich auf einen Naturweg direkt neben dem Bahngleis. Hübsch! Nach 1 km ein Tunnel. Ich überlege, ob ich durchschiebe, lass es aber bleiben und nehme einen Umweg.
Eine Brücke. Ich seh mal wieder einen klasse Schlafplatz (falls einem Wasserrauschen nichts ausmacht). Ich hab aber den Campingplatz 5 km weiter im Auge. Fahre noch durch Tamsweg. Das ist mal ein hübsches Städtchen und es ist ein wenig was los. Ich dachte so langsam schon, hier sei überall tote Hose.
Wieder mal bin ich auf einem schönen Campingplatz gelandet. Zwischen Wald und Fluss. Klein, ruhig. Zelt steht. Achja … Seit 2 Stunden regnet es nimmer
Fertig für heute
Tag 20
Ich wache gegen 8 Uhr auf, es ist warm im Zelt. Die Sonne scheint tatsächlich
Ich putze und sortiere ein wenig mein Zeug, trockne ein paar Sachen und mach es mir in der „Tellerschaukel“ bequem. Geniesse die Sonnenstrahlen und die Wärme. Im T-Shirt
Die Schaukel ist zu bequem, ich döse vor mich hin, schon wieder ist es 11 Uhr bis ich auf dem Rad sitze. Halb so wild. Die halben Radfahrtage gefallen mir bestens.
Nach wenigen Kilometern bleib ich gleich mal bei Cappuccino und Torte hängen. Es ist einfach zuuuu schön alles. Das muss sich wieder mal setzen.
Weiter. Schon nach 12, ein Gasthaus mit vielen Gästen draußen. Das MUSS ja gut sein. Mittagessen. Oh, war das fein. Lungauer Knödelgeheimnis, das musste ich lüften
Nicht nur das Essen ist phantastisch, nein, das Lungau überzeugt mich restlos. Lieblich mit viel Wasser, der gewohnten Blumenpracht und sagenhaften Blicken auf die Tauern, das begeistert mich
Es geht sanft bergauf. Mein Rad rattert und knarzt angsteinflössend. Der Freilauf hinten ist hinüber. Ich schaue nach Fahrradgeschäften und werde nicht fündig. Solange ich trete ist alles okay, wenn es rollt zickt es. Heute steht noch eine lange Abfahrt an. Mir ist unwohl. Hilft nichts, ich will weiter, über die Tauern.
Tolle Wege, dann gehts irgendwann auf die Katschbergstraße. Ein Pass, ich habs so gewollt. Von der Steilheit relativ harmlos, nicht zu viel Verkehr. Na gut, flach ist auch dieser Pass nicht. Ich kurbel mich mal wieder hoch, bestaune die Landschaft, das Wasser überall …
Oben raus haut es mich fast um. Ich bin zutiefst beeindruckt, nein, überwältigt von der Bergkulisse. Ich wusste nicht, dass es hier so abartig schön ist. Vielleicht ist mein Blick heute auch sonnenverstrahlt. Die ist natürlich das i-Tüpfelchen. Die Sonne
Oben liegt Obertauern, mal wieder ein Ski-Dorf. Wieder zwischen Winter- und Sommersaison. Baustelle und tote Hose. Ich setz mich irgendwo hin mit Bergblick, futter ein paar Schokoriegel, kann mich gar nicht sattsehen.
Abfahrt. Ich nehme mir vor, nicht schneller als 40 km/h zu fahren, habe Angst vor blockierendem Freilauf, was dann passiert will ich mir nicht ausmalen.
Die Abfahrt ist sensationell. 1000 Höhenmeter vernichten Ich vergesse meinen Vorsatz und heize runter. Ab und zu halte ich an, besinne mich, um 20 Sekunden lang wieder Vorsicht walten zu lassen.
Ich bin high, alles geht gut, es wird flach, der Freilauf rattert vor sich hin. EIn paar Tage lang muss er noch irgendwie durchhalten. Ja, nur noch ein paar Tage. Leiderleiderleiderleider. Ich könnte die Tour noch wochenlang fortsetzen.
Noch ist sie ja nicht vorbei. Hab einen halben Plan im Kopf, mal sehen, was morgen so kommt
Gelandet bin ich heute in Radstadt. Auf einem Campingplatz in nicht besonders toller Lage. Das Restaurant soll klasse sein. Vielleicht geh ich ja nochmal was essen. Hunger hab ich keinen. Ach was. Ein Salat geht immer. Mit einer leckeren Beilage. Hirsch oder Forelle.
Ich bin immer noch total geflashed von dem Tag und ziemlich begeistert, wie gut die Beine drauf sind. Ich muss zum Ende kommen, letzte Bestellung im Restaurant 20:45 Uhr, davor möchte ich noch duschen.
Und tschüss
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