Tag 21

Wieder scheint die Sonne. Das Zelt steht im Schatten, ich dreh mich noch ein paar Mal im Halbschlaf um. Und noch ein paar Mal. Und ein vorletztes Mal. Und ein letztes 🙂

Gegen 10 Uhr sitze ich auf dem Rad. Nach einem bisschen wunderschönsten Naturwegen geht es irgendwann auf eine Bundesstrasse. Die junge Salzach runter. Tolles leichtes Gefälle, ich fahre 20 km lang genüsslich ein wenig mittretend mit 30 km/h die Strasse runter bis Bischofshofen, das ich links liegenlasse. Ein Traum! Zwischendurch mal Cappuccino und Torte, so ein Tag muss schliesslich gebührend gefeiert werden.

Der Freilauf hat sich stark gebessert. Meine Theorie … da kam durch das Siffwetter irgendwo Schmodder rein und der ist nun getrocknet und kleingemahlen. Mir fällt auch noch die Furt ein, durch die ich an dem Horrortag über den Bärensattel von Slowenien nach Kärnten gefahren bin. Normalerweise DAS Erlebnis des Tages, an dem Tag ging es unter 🤔 Die Furt war ca. einen halben Meter tief durch den vielen Regen. Ich musste nicht absteigen und war trotzdem bis zu den Knien nass. Da lief bestimmt auch aufgewühltes Dreckwasser in alle möglichen nimmer ganz dichten Lager rein.

Egal. Es läuft wieder. Sowohl das Rad als auch überhaupt und so 🦵💪 Unten im Tal, wo die Salzach flacher und grösser wird schwenke ich Richtung Norden. Konstant garstiger Gegenwind. Heute hat er keine Chance mich zu zermürben. eine Mischung aus schönen Radwegen und Bundesstrasse, imposante Berge links und rechts. Pass Lueg, ein Witz, paarundfünfzig Höhenmeter.

Ich bin auf dem Alpe-Adria-Radweg. Das merke ich, unzählige Radfahrer kommen entgegen. Viele Rennradler überholen mich, die kommen heute aber bestimmt nicht von der Adria. Auch jede Menge eBiker pfeifen vorbei. Es sei ihnen gegönnt 👍

Das letzte Stück an der Salzach ist wieder gaaaaanz klasse. Abseits der Bundesstrasse, kleine Strässchen, tolle Landschaft. Ich bin schlecht auf das Schreiben des Tagebuchs vorbereitet. Ich muss meinen Wortschatz erweitern. Immer das Gleiche. Toll, klasse, sensationell, atemberaubend.

Ich versuchs mal … herzallerliebsterquickendfriedlichdreinschauende Kühe glotzen mich an. Die Sinne betörende Blumen blühen wieder um die Wette und so weiter und so fort …

Pizza in Hallein bei einem wahnsinnig herzlichen Italiener. Er begrüsst mich mit einer Alkoholfahne, raucht Kette, sieht aber mit 68 Jahren (hab ihn einfach gefragt weil ich es wissen wollte) aus wie das blühende Leben. Volle weisse Haare, so voll, wie meine noch nie waren. Dazu italienisch-österreichischer Slang und diese Herzlichkeit. Klasse!

Ein Berglein zwischen dem Salzburger Land und dem Berchtesgadener Land stand an. So ein ganz kleiner namenloser Minipass (250 Höhenmeter), breit wie bei uns die Wirtschaftswege aber doch ein offizieller Grenzübergang, der mit Autos gefahren werden darf. Ein kleines Juwel. Oben angekommen begrüssen mich die Berge des Berchtesgadener Lands. Die brauchen sich mal gar nicht zu verstecken. Tun sie auch nicht. Herrlich 🤩

Die letzten Kilometer zum Königssee. Geil. Blick auf Watzmann & Co im Abendlicht. Seit Hallein liegen Gewitter in der Luft, es blieb trocken 🙂

Campingplatz. Voll, aber ich darf in einer Ecke zwischen Wohnmobilen noch mein Zelt aufbauen.

Abendspaziergang zum See. Toller Tag. Wow, wow und nochmal wow! Wer hätts gedacht 😉

Fertig.


Tag 22

Ein nettes Paar aus dem Wohnmobil nebenan lädt mich zum Kaffee und Frühstück ein. Sie kommen aus Gärtringen, Dönerzone 4, daher bestens bekannt 🙂 Leckeres und kurzweiliges Frühstück.

Auf die paar hundert Meter zum Königssee verzichte ich heute, hab ihn ja gestern abgehakt und muss da nicht nochmal hin. Los Richtung Berchtesgaden auf dem Bodensee-Königssee-Radweg. Den bin ich ja an Ostern von Lindau bis ins Inntal geradelt, jetzt möchte ich den restlichen Teil von hinten her aufrollen. Oder ab.

Berchtesgaden ist ein schön herausgeputztes Städtchen, bis dahin schöne Wege direkt am Fluss entlang. Kaffee/Kuchen-Stopp, ist ja inzwischen festes Programm 🙂

Bis Bad Reichenhall ein eher öder Abschnitt. Viel Straße oder Radweg direkt daneben. Das Städtchen ist aber wieder sehr schnuckelig. Ich bin heute ein wenig traurig über die langweiliger werdende Landschaft. Die Zeit der imposanten Berge ist vorbei. Wehmütige Blicke zurück auf den beeindruckenden Watzmann. Meine Begeisterung hält sich erst mal in Grenzen. So muss ich mich halt mit leckerem Gyros bei Laune halten. Unmotiviertes, genervt wirkendes Personal. ‚tschuldigung, dass ich hier Gast bin. Abzug in der B-Note. Gyros und Salat punkten aber mit gutem Geschmack 😋

Die Wege werden langsam schöner, ich bin aber nicht begeistert. Warum eigentlich nicht? Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters. Sagt man.

Betrachter an Auge: „mach mal was“. Auge: „eye eye Sir“.

Wieder mal hilft der Reset. Es geht ins Chiemgau, das ist halt anders. Anders wunderschön. Ich sehe plötzlich viele Kleinode am Rand, freunde mich mit der hügeligen Landschaft an, komme wieder in richtig gute Stimmung 💕

Ein junges Mädel sitzt auf einem Rasenmäher und mäht eine riesige Wiese. Hier ist die Emanzipation also auch schon angekommen. Oder der Vater hat keinen Bock und keine Söhne. Ich weiss es nicht.

Die Wege sind klasse, 99% abseits von Straßen. Die Sonne scheint ungetrübt ☀️ Die Seele baumelt vor sich hin. Es ist mal wieder schon recht spät. Noch 10 km. Eine Grillbude direkt am Weg. Liegestühle, sehr hübsch gemacht. Dazu chillige Musik. Da MUSS ich anhalten.

Ein dunkelhäutiger Typ lacht mich an, ich sag einfach dunkelhäutiger Typ ohne mich mit political correctness auseinanderzusetzen. Meinen Respekt erfährt er so oder so. Wir kommen ins Gespräch, er scheint mir meine Begeisterung anzusehen und erzählt mir, dass die Bude ein Ergebnis des Corona-Lockdowns ist. Er mag seinen Job, das merkt man ihm an. Ich erzähl ihm, wie arg ich auf so kleine unerwartete Highlights stehe. Wir freuen uns beide. Der Schweinehals wird frisch gegrillt, Paprika und Zwiebel drauf und leckere Sösschen. Das Ganze rein in die Semmel und in den Bauch ☺️

Die Bude erinnert mich ans Klein-Krummbi zu Hause. Gleiches Konzept, nur einfach in schönerer Lage und noch viel schöner aufgemacht. Eine Runde chillen und ab zum Campingplatz.

2 Kilometer vor dem Ziel macht sich der Freilauf wieder bemerkbar. es lief so gut, so ruhig, alles schnurrte vor sich hin. Jetzt rutscht er dummerweise beim treten manchmal durch und ich trete ins Leere. Die 2 Kilometer waren kein grosses Problem.

Ob ich morgen damit noch ins Inntal komme. Ich befürchte, nein. Ist nicht so schlimm. Morgen Abend ist so oder so Ende. Ich bin traurig, freue mich aber ein klitzekleines Bisschen auch auf zu Hause. Auf den Balkon. Aufs Montagsbüro. Auf den Kindersport. Aufs Tischtennis spielen. Auf die Donnerstagabenddönerrunde. Auf Freunde.

Ein klitzekleines Bisschen.

Ich will noch kein Fazit ziehen. Fazit ziehen wird mir bestimmt große Freude bereiten, das heb ich mir auf 🙂

Fertig.


Tag 23 – Finale

Die Sonne heizt das Zelt auf. Bevor der Wecker klingelt flüchte ich ins Freie. 7 Uhr. Die zwei jungen Thüringer (nicht Rostbratwürste sondern Radler) sind schon weg. Sachen gibts 🤔

Warum erzähl ich das? Weil ich es lustig finde. Sonst ist nämlich erst mal nichts lustig. Gar nichts.

2 km weiter in den Zug setzen und das wars dann? Ein unwürdiger Abschluss dieser grandiosen Tour. Sie begann mit einem Paukenschlag. Sie muss nicht mit einem Paukenschlag enden. Aber auch nicht so trist. Irgendein Ziel brauch ich noch!

Ich radel zur Tankstelle. Kaffee und Snacks. Das Rad zickt arg. Ca. 25 km bis zum Chiemsee. Sieht sehr flach aus. Das muss gehen. Der Chiemsee ist jetzt das Ziel. Ein mal schwimmen. Die Laune wird besser 💕 Die Idee scheint ganz gut zu sein.

Ohne Druck auf den Pedalen komm ich gut vorwärts. Die Landschaft interessiert mich nicht. Ich bin völlig in Gedanken versunken. Verarbeite alles mögliche.

Einen Käsekeks und Cappuccino. Weiter. Ich freu mich immer mehr auf den Chiemsee. Die Reise wird abgerundet enden. Auf einmal bin ich mir sicher. Glücksgefühle kommen hoch. Ich stosse auf den See, gleich hier kann ich schwimmen. 🤩

Ich springe mit Klamotten ins Wasser, so sind sie für die Zugfahrt gleich ein wenig frisch. Ich hab Zeit, sie in der Sonne am Körper trocknen zu lassen. Es ist völlig egal, ob ich 14:06, 15:06, 16:06, 17:06 oder gar erst 18:06 Uhr in den Zug steige.

Ich sitze auf einer Bank, bin glücklich. Schicke einer Freundin eine Antwort auf eine Frage per Sprachnachricht. Danach erzähle ich, dass ich gerade im Chiemsee meine Tour beendet habe. Im ersten Satz breche ich in Tränen aus, würge noch einen Satz raus. Ende. Glückstränen. Ich lass sie laufen. Glücksgefühle überrennen mich. Ich weiß nicht wohin damit 💕 Was für ein Abschluss! Genau so! Ich sitz im Zug und heule beim schreiben 😊

Das waren mehr als drei Wochen Höhenflug mit Turbulenzen. Überwältigend. Ich muss halbwegs kontrolliert landen. Das wird die letzte Aufgabe der Tour sein. Keine einfache.

Ich kann mich nach 3 Wochen noch leiden, das Mindset hat brilliert, der Körper war gut drauf, das Rad hatte mit dem Defekt ein gutes Timing. Nach 16 Jahren darf auch mal was kaputt gehen!

Falls ihr es noch nicht gemerkt habt und es wissen wollt sage ich es halt. Ich bin high 😍

Danke fürs verfolgen der Tour 💕

Punkt. Aus. Ende.